Dienstag, 22. Februar 2011

Zimmer Nr.3: Jimjil-Bang, das „beheizte Badezimmer“

Das Jimjilbang ist ein wahrer Wellness-Synkretismus! In dieser bunten Spa-Mischung ist für jeden Health- und Relaxtyp das richtige dabei…

Doch bevor man so richtig loslegen kann mit der Entspannung, geht’s erst einmal ab in die Badewanne bzw. auf koreanisch auf zum Waschhocker. Auf diesem sitzt man dann, einer neben dem anderen, in einer langen Reihe, jeder vor einem Spiegel. Auf seinem Schemelchen hockend – ich muss zugebend, dass ich dieses Sitzduschen ein wenig gewöhnungsbedürftig empfand – schäumt und braust man sich dann ordentlich ab. Die Koreanerinnen verwenden dafür jede Menge Tools: mit Bürsten und Schwämmen, Läppchen und Lotionen bearbeiten sie sich bis sie ordentlich durchblutet aussehen. Ob die koreanischen Männer sich ähnlich gründlich peelen, weiß ich nicht, da dieser Bereich des Jimjilbangs, wo einem so viel nackte Haut begegnet, natürlich geschlechtergetrennt ist, ganz wie es sich für eine extrem traditionelle Hochtechnologie-Nation gehört – und ich muss ehrlich sagen, das war einer der wenigen Fälle, wo ich den Konservatismus zu schätzen wusste.

Gleich im Anschluss geht’s ins Badehaus, wo man sich in verschieden warmen oder kalten Becken abwechselnd aalen kann. Dort fand ich’s am schönsten, besonders die dampfenden Außenbecken unter eiskaltem Nachthimmel hatten es mir angetan. An den Badebereich sind auch verschieden temperierte Sauna-Zimmer angeschlossen. Die funktionieren nach demselben Prinzip, das wir im Westen auch kennen, nur brutzelt man im Trockenen ohne Aufgüsse. Was dabei keinesfalls fehlen darf, ist der Fernseher in der Sauna, der einen vom Schwitzen ablenkt.

Pärchen - Unterwäsche

Nach der Schwitzerei schrubbelt und duscht man sich noch einmal ab, rubbelt sich trocken und schmeißt sich in die Einheits-Entspannungskluft, die jeder vom Jimjilbang gestellt bekommt. In diesen weiten Hosen und T-Shirt kann man sich nun in den typisch koreanischen Teil des Bangs vorwagen. Denn da die Koreaner alle unglaublich schüchtern, gleichzeitig aber total vernarrt in alles sind, was mit „Couple“ zu tun hat (Die Koreaner sind im absoluten „Couple“ Wahn! Man hat hier große Erwartungen und ganz feste Vorstellung vom über alles erstrebenswerten Pärchen-Dasein. Und die große Liebe hat genaue Spielregeln und wird bis ins letzte Detail inszeniert: Die Frau macht sich hübsch, ist unten sexy in „Highestheels“ und Miniestrock, dafür oben hoch geschlossen, damit man ja nicht auf falsche Gedanken kommt. Vom Mann wird erwartet, dass er seine Zuneigung über den Geldbeutel beweist – je teurer das Essen, je blinkender der Ring, je häufiger Pralinchen und Blümchen, desto größer natürlich die Liebe! Deshalb vermarktet man in Korea alles am besten mit dem Label „Romantic“ oder „Couple“: Man schlendert am Romantic Beach entlang, er lädt sie zu einem Couple-Menü im Coffee Shop ein, wo im Hintergrund romantische Musik dudelt. Dort schenkt er ihr ein Handy in romantic-pink-metallic mit blinkendem Herzanhänger, für das er einen Pärchen-Vertrag abgeschlossen hat. Darunter tragen sie beide Couple-Unterwäsche!), brauchen sie ungezwungene, aber nicht zu intime Gelegenheiten auf das andere Geschlecht zu stoßen. Und genau für dieses Bedürfnis wurde der züchtige Unisex-Bereich des Jimjilbang geschaffen. Dort hat man sich nun - als Lösung des Problemfeldes „wir möchten daten, aber bitte mit Kleidung“ - Hitzeräume ausgedacht, in die man sich vollständig bekleidet in seiner Wohlfühlkluft begibt, um sich danach in einem Kälteraum statt mit einer Dusche wieder abzukühlen. Man kann sich also beim wechselweisen Schwitzen oder Bibbern näher kommen, falls man möchte. Die Räume sind thematisch auch durchaus ansprechend eingerichtet – die Psyche schwitzt in der Wüstenlandschaft mit Lavasteinen oder friert in der Unterwasserlandschaft mit Aquarium richtig mit. Natürlich kommen auch ganze Familien zum Wochenendausflug oder Arbeitskollegen zum Ausnüchtern nach dem letzten Gelage ins Jimjilbang. Das Jimjilbang ist aber auch einfach ein guter Ort mit seinen Kumpels abzuhängen. Man kann dort nämlich, abgesehen von Kühlkammern und Schwitzkästen, fast alles machen, was Spaß bringt und gut tut. Man lümmelt sich wahlweise auf der Fußbodenheizung (nennt sich hier übrigens Ondol und dieses Heiz-System hat in Korea schon seit Jahrhunderten Tradition, weshalb Koreaner auch so bodenfixiert sind bei essentiellen Tätigkeiten wie Schlafen oder Essen), schlürft traditionell ein kaltes Reisgetränk, wozu ein hartgekochtes Ei gesnackt wird, und stochert in einem gefrorenen Familysize-Obst-Joghurt-Turm mit Soße, während man sich von großen Flachbildschirmen vom letzten Drama berieseln lässt (so nennen sich die koreanischen Soaps und die schaut hier einfach jeder wie Nachrichten). Man kann sich von Massagestühlen oder echten Händen durchkneten lassen, ins Noraebang zum Singen gehen, sich Mani- und Pediküren unterwerfen, in „Couple“- Liegestühlen DVD gucken oder in einem Fußbad herumspazieren, falls man vom Planschen noch nicht genug hat und noch nicht völlig aufgeschrumpelt ist. Noch dazu hat das Jimjilbang meist 24h geöffnet, man kann dort also auch gleich die Nacht verbringen. Das Nächtigen funktioniert dann aber wieder ganz züchtig: in geschlechtergetrennten Schlafsälen rollt man seine Matte auf dem Fußboden aus und kann dann höchsten noch vom Aufriss des Tages träumen, mit dem man sich so herzerwärmend auf dem Ondol geräkelt und gemeinsam an einem getrockneten Oktopus geknabbert hat. Naja, vielleicht sieht man sich ja mal wieder – im DVD-Bang zum Beispiel…

 Romantic - Roller

Dienstag, 15. Februar 2011

Zimmer Nr.2: DVD Bang!

Den "DVD-Raum" kann man sich nun grundsätzlich einmal vorstellen wie eine stinknormale Videothek. Man sucht sich einen Film aus, zahlt und dann - nein, dann geht man nicht wieder nach Hause und guckt auf dem Sofa liegend in die alte, flimmernde Röhre, und spielt nach Ende des Films „schnick-schnack-schnuck“, um herauszufinden, wer jetzt noch einmal die verklebten Augenlieder aufstemmen und zurück zur Videothek radeln muss, um den Film wieder abzugeben. Nein, man bleibt einfach im DVD Bang und macht es sich in einem der Filmzimmerchen gemütlich, das fast vollständig mit einer riesengroßen Liegecouch, naja, eigentlich eher einem Monsterbett mit optionalen Rückenkissen ausgefüllt ist, und lässt sich den Film an die Wand beamen. Ausgestattet mit Popcorn, Chips und Bier befällt einen dort ein heimeliges Privatkinofeeling.
 

Das ist übrigens für mich auch eine der wenigen Möglichkeiten koreanische Filme mit englischen Untertiteln anschauen zu können, da im Kino und Fernsehen, so wie bei uns eben auch, natürlich davon abgesehen wird. Meine bisherigen Studien des koreanischen Films haben ergeben, dass Koreaner offensichtlich viele Kriegsfilme drehen und anschauen. Vergangenheitsbewältigung - da sind sie den Deutschen wohl recht ähnlich! Beliebtes Motiv sind die Brüder, die im schlimmsten Fall in den Kriegswirren getrennt werden, und dabei auf verschiedene Seiten geraten. Und dann stehen sie sich natürlich plötzlich an der Front gegenüber, der eine mit der kommunistisch roten Armbinde des Nordens, der andere die Demokratie Südkoreas verteidigend. Best übersetzter Titel dieser Reihe: „Brotherhood – wenn Brüder aufeinander schießen müssen“! Auch Monsterkatastrophenfilme sind äußerst beliebt. Das beste Beispiel ist das Fluss-Monster im Kassenschlager „The Host“, das durch einen verantwortungslosen amerikanischen Wissenschaftler (Die Beziehung der Koreaner zu den USA ist milde gesagt ein wenig unentspannt. Zwar sind die Amerikaner einerseits die Retter, ohne deren Hilfe man im Koreakrieg dem nördlichen Aggressor in kürzester Zeit komplett ausgeliefert gewesen wäre. Andererseits aber hat man seit der 35-jährigen japanischen Kolonisierung, in der die Japaner versuchten die koreanische Kultur und Identität vollständig auszulöschen, ein gespaltenes Verhältnis zu sogenannten „Befreiern“. Denn Japan hatte unter dem Vorwand bei der Niederschlagung innerer Unruhen zu helfen, dieses auch erst getan, um im Anschluss dann das geschwächte Korea zu annektieren. Und so ist man den Amerikanern zwar einerseits sehr dankbar, andererseits beäugt man sie misstrauisch. Und so kommen sie dann auch in den Filmen nicht immer ganz gut weg!), der gefährliche Chemikalien in den Han Fluss kippen lässt, als Megamutant entsteht und den Seoulern mit seiner kreisförmigen Mundklappe, angefüllt mit geschätzten 15 Zahnreihen, auflauert. Das Monster knabbert die Leute an, verschlingt sie, käut sie wieder, frisst sie schlussendlich anständig auf, um dann einen klappernden Knochenhaufen auszuspeien. Psychothriller sind auch äußert beliebt: der Massenmördern, der aussieht wie du und ich, bevorzugt die Anonymität der Großstadt und ihrer Apartmentsiedlungen. Er liebt verregnete Nächte und Hämmer. Das spritzt nämlich immer so schön, wenn man damit seinen um Gnade flehenden Opfern den Schädel einschlägt. Echt unangenehm! Horrorstreifen sind auch noch gern gesehen und Geistermädchen in Schuluniform spielen darin oft die Hauptrolle. Überhaupt ist eine wichtige Regel in den düsteren Genres des koreanischen Films, dass das Blut, wenn nicht auch aus den Ohren, dann zumindest doch immer aus dem Mund rinnen muss!

Damit ist aber nur die eine vordergründige Daseinsberechtigung dieses gemütlichen Kinozimmers erwähnt: Filme anschauen! Gleichzeitig  ist so ein DVD Bang aber auch das, was für unsere Elterngeneration das Autokino war: ein wahres Fummelparadies! Denn obwohl die koreanische Gesellschaft technisch hochmodern ist, ging der rasante Fortschritt wohl doch ein wenig zu schnell, weshalb sie im Privaten meist noch immer stockkonservativ sind. Die Kinder leben im Prinzip so lange bei den Eltern bis sie entweder zum Studium in eine andere Stadt ziehen oder selbst heiraten. Besonders die Mädchen müssen, unabhängig vom Alter, spätestens um 12 daheim sein - zur selben Zeit schließt auch das Wohnheim der Uni. Männer- bzw. Frauenbesuch kommt weder im Wohnheim, noch zu Hause in Frage, es sei denn man möchte die Details der Hochzeit planen. Wenn man jetzt einmal darüber hinwegsieht, dass man eigentlich keinen näheren Kontakt zum anderen Geschlecht haben sollte, es sei denn man hat den Verlobungsring schon anstecken (Die Pille gibt es hier rezeptfrei in der Apotheke, denn wer zum Frauenarzt geht erwartet entweder ein Baby oder ist eine Prostituierte. Es lebe die Aufklärung!), hat man immer noch das Problem, dass man gar nicht wüsste, wo man sich denn einmal ungestört treffen könnte. Und damit wären wir wieder beim DVD Bang angelangt: Dort kann man endlich einmal allein zu zweit sein und den Augen der Öffentlichkeit entkommen. Dort ist es dunkel, man hat eine Filmlänge Zeit – es empfiehlt sich ein möglichst lauter Film mit Überlänge – und man hat ein enormes Bett als Spielwiese für die private Petting Party zur Verfügung. Diese Megacouch ist dem möglichen Anlass entsprechend aus hygienisch abwischbarem Plastik. Und zur notwendigen Ausrüstung eines DVD Bang Betreibers gehören Tonnen an Taschentüchern. Denn sobald der Abspann des Film halb abgelaufen ist, kommt ein Angestellter mit einem Tablett angewieselt, auf dem eine große Flasche Desinfektionsspray und ein ganzer Haufen „Wisch und weg“ –Tücher aufgestapelt ist. Er knipst das Licht an, begutachtet die eventuelle Sauerei und macht sich sogleich an die Arbeit. Die vermeintlichen Übeltäter haben wohl schon bei der ersten Zeile des Abspanns die Flucht ergriffen!

Wenn einen also einmal ein netter, sympathischer Koreaner des anderen Geschlechts  zum Videoabend einläd, dann sollte man in Betracht ziehen, dass das Gegenüber vielleicht nicht nur als Cineast und Filmliebhaber an dem neuesten Streifen auf DVD interessiert ist…

Samstag, 5. Februar 2011

Zimmer Nr.1: Norae Bang – der Liedraum

Singen gehört zu Asien wie Kimchi zu Korea, wie Mao zu China und wie Hello Kitty zu Japan. Praktiziert wird das mit großer Vorliebe im 노래방 (sprich: Norae Bang), als 卡拉OK (sprich: ka-la-OK) oder eben, so wie es auch bis zu uns durchgedrungen ist: Karaoke! Nun kann man als Tourist noch einen großen Bogen um die Singerei machen, auch wenn man mit diesem mutwilligen Verhalten so einiges an Asien-Erfahrung verpasst. Wenn man sich aber ein wenig länger in einem ostasiatischen Land aufhält, dann gibt es kein Entrinnen mehr. Denn ob Geburtstagsfeier oder Geschäftsessen – früher oder später landet man beim Karaoke. Es lässt sich dabei nämlich so einiges miteinander verbinden: man sitzt beisammen, allerdings nicht so undynamisch wie in einer Kneipe. Man kann sich unterhalten, quatscht sich aber nicht fest. Man hat Musik und ist sogar für Auswahl und Interpretation selbst verantwortlich. Man kann tanzen, und die Hemmschwelle ist nicht besonders hoch – schließlich ist man ja unter sich. Und ein Fetztenrausch kann bei Bedarf auch gleich mitgetankt werden… 


Wer Karaoke noch nie in Asien erlebt hat, wird nicht verstehen, warum es so viel Spaß macht. Denn aus Deutschland kennt man Karaoke nur als ein festes Donnerstagabendprogramm im Irish-Pub. Dort fühlt man sich entweder als würde man die restlichen randvoll pöbelnden Anwesenden stören, die gerade lieber das Fußballspiel ungestört kommentieren würden. Oder es vergeht einem schlicht die Lust bei all den Selbstdarstellern, die sich auf die Karaoke Bühne drängeln, um ihrer gescheiterten Musikerkarriere dort einen kläglichen Ausdruck zu verleihen. Die singen jeden Abend immer wieder dieselben Songs, die sie daheim unermüdlich geübt haben und mit stimmlichen Schnörkeln und Vibrato versehen, dass es einem die Zehennägel hochdreht. Manche treffen auch keinen Ton, haben aber Spaß daran sich mit ihrer Performance total zum Affen zu machen. Und bei all diesen Freaks und armen Seelen soll man sich dann noch dazwischen quetschen, um seinen eigenen Song ganz unbedarft zum Besten zu geben? 


In Ostasien dagegen mietet man einen, der Gruppengröße entsprechenden, lustig blinkenden Raum mit gemütlichen Sofas, einem Tisch und einer bunten Auswahl an Rhythmusinstrumenten wie Rasseln oder Schellenkränzen. Dann gibt es noch einen entscheidenden Knopf. Wenn man diesen drückt erscheint der Karaoke-Kellner dimmt das Licht, regelt Heizung und Lüftung – je nachdem in welchem Hitzestadium sich der Abend gerade befindet – oder bringt Alkoholnachschub. Und dann kann‘s auch schon losgehen: Aus der manchmal langen, manchmal längeren und manchmal – wenn man auch der jeweiligen Landessprache mächtig ist – extrem langen Liederliste wählt man seine Favoriten mit der Fernbedienung in das Menu ein und schon geht’s los. Ein Song folgt dem nächsten. Und es dauert meistens nicht lange bis auch diejenigen, die vorher steif und fest behauptet haben, dass sie nicht singen können – sie hätten schon als Kind bei den ersten naiven Trällerversuchen von „Ein Männlein steht im Walde“ alle seine Bewohner inklusive Klopfer und Bambi in rasende Flucht geschlagen, weshalb sie seit dieser traumatischen Erfahrung nie wieder gesungen hätten und folglich ihre Stimmbänder auch heute Abend nicht in Richtung Mikro erzittern lassen würden – erst unauffällig und unverbindlich mit dem Mikrofon herumspielen, dann schon ein wenig mutiger „eins-zwo-eins-zwo-hallohallo-hehe“ in die Membran murmeln, um dann plötzlich aufzuspringen, um Elvis nicht nur stimmlich sondern auch mit vollem Körpereinsatz zu mimen. Puhh, na endlich! 


Und so Reihen sich die Songs aneinander wie die leeren Bierflaschen: „Yellow Submarine“ gegrölt, „You’re the one that I want“ im Duett, „Creep“ gejammert, zum ersten Mal im Leben aus Versehen „I’ll be missing you„ gerappt, kläglich an „Don’t stop me now“ gescheitert, bei „Nothing compares“ die eigenen Stimmbänder und die Trommelfelle der Zuhörer auf eine Zerreißprobe gestellt, bei „What’s up“ langsam einen Kehlkopfkrampf bekommen und dann alle zusammen – Mikrofon ist schon lange nicht mehr nötig, kann sowieso niemand mehr finden, muss wohl in eine Sofaritze gerutscht sein – den Abend mit „Lemon Tree“ ausklingen lassen…

Müde gesungen und mit kratzigen Stimmen, aber beschwingt und schwindelig torkelt der Gesangsverein dann auf die Straße hinaus, die genauso wild blinkt wie der Karaoke Raum. Und dabei flüstert mir der Bambi-Verscheucher ins Ohr: „Das machen wir bald mal wieder, okay?“ 



Sonntag, 23. Januar 2011

Under Pressure

Ich steige morgens in den Bus Nr.603, der mich direkt von der Haustür bis zum Arbeitsplatz schaukelt. Der Busfahrer zieht sein „Anyeong Haseyooooo“ in die Länge als ich die Stufen erklimme und meinen Public-Transport-Chip in Form einer Hello-Kitty (sorry, aber wir sind in Asien, da sind dem Kitsch keine Grenzen gesetzt) mit einem Piep-Geräusch am Automaten vorbeiführe. Heute habe ich Glück, ich muss meinen Morgen nicht mit Bus-Surfing starten (die Busfahrer haben allesamt eine unglaublich expressive Fahrweise, weshalb man sich stets breitbeinig in den Boden verankern muss. Wenn man dann noch locker in die Knie geht und sich am besten an zwei von der Decke baumelnden Handgriffe festkrallt, hat man eine reale Chance unbeschadet am Ziel der Busfahrt anzukommen), sondern finde noch einen freien Sitzplatz ganz Hinten im Bus. Mein noch verschlafener Blick schweift durch die Sitzreihen begleitet von der Musik und Werbebeschallung aus den Lautsprechern.

Die ersten Akkorde von „Time of my life“ (die Jukebox des Busfahrers hält jeden Morgen aufs Neue atemberaubende Überraschungen bereit) erklingen gerade, als mein Blick auf einem Mädchen mit akkurat gescheiteltem, glänzendem Haar hängen bleibt. Sie hat ihre Puderdose gezückt und bearbeitet mit der Quaste gewissenhaft und mechanisch jeden Winkel ihres ebenmäßigen Teints. Plötzlich hält sie inne und ihr Blick im winzigen Handspiegel bleibt auf ihren eigenen Gesichtszügen haften, beginnt diese abzutasten als würde sie sich selbst zum ersten Mal sehen. Die Eltern hatten ihr eine Korrektur ihrer Schlupflieder zum bestandenen Abitur geschenkt. Das sollte ihren Blick öffnen. Außerdem war das ja auch ein ganz übliche Aufmerksamkeit. Die meisten ihrer Klassenkameradinnen hatten den ein oder anderen kleinen Schönheitseingriff vornehmen lassen. Denn gutes Aussehen war der Schlüssel zum Erfolg, das hatte man den jungen Mädchen schon früh von allen Seiten eingebläut. Im gnadenlosen Konkurrenzkampf um einen guten Job musste man alles geben. Gute Noten alleine reichten da nicht. Man musste in jeglicher Hinsicht besser sein – am besten makellos. Denn schließlich gilt die gesellschaftliche Position, gilt Aufstieg und ein üppiges Einkommen alles. Außerdem geht ein guter Job für gewöhnlich auch mit einer guten Partie einher. Sie mochte zwar ihren momentanen Freund sehr gerne – er führte sie immer in die teuersten Restaurants aus – aber letztlich ließ sein Ehrgeiz ein wenig zu wünschen übrig. Sie wusste also nicht wie lange das noch so weitergehen konnte. Schließlich war sie an einer der landesweit besten Universitäten angenommen worden und er nur an einer zweitklassigen. Wie auch immer, er hatte ihr große Komplimente gemacht für ihre neuen, größeren Augen. Er beglückwünschte sich, dass seine Freundin nun noch besser aussah. Sie tupfte noch einmal Puder auf ihre Nasenflügel. Vielleicht sollte sie noch für eine zweite kleine Korrektur sparen. Die Nase wirkte doch ein wenig flach. Ein kurzer Zweifel in Form der monsterhaften Fratze von Frau Hang durchzuckte sie, deren Bild kürzlich durch die Medien ging (http://banglaclub.wordpress.com/2008/11/12/inject-cooking-oil-in-my-face/). Aber das Anheben des Nasenbeins war Standard und Routine, jede zweite ließ diesen Eingriff vornehmen – nichts zu befürchten also. Entschlossen klappte das Mädchen ihre Puderdose mit einem lauten Klacken zu und verstaute sie wieder in ihrer Handtasche.

 Sportstadion? Nein, Rathaus!!!


Mein Blick wandert weiter zu einer Frau, die sich eingerollt in ihre pinke Daunenjacke und mit Kopfhörern im Ohr komplett von der Welt abgekapselt hatte, um ihre kurze Nacht noch ein wenig zu verlängern. Wieder einmal Überstunden! Wie sollte sie da jemals an Kinder denken können. Sie war nun schon sieben Jahre lang in ihrem Job. Eine gute Position. Sie kam abends selten vor 11 Uhr nach Hause. Am Wochenende gab es häufig zusätzliche Aufgaben zu lösen. Kurz nachdem sie bei ihrer Firma angefangen hatte, hatte ihr Freund, der ihr von Kollegen vorgestellt worden war, ihr einen Heiratsantrag gemacht. Sie hatte „ja“ gesagt, es wurde sowieso langsam Zeit für sie. Er verdiente reichlich und arbeitete genauso viel. Alles lief gut. Sie sahen sich kaum. Sie hatte sich immer Kinder gewünscht. Zwei Stück. Ein Junge und ein Mädchen. Ein fröhliches Familienleben wie aus der Nudelwerbung. Das Mädchen hätte zwei Zöpfe und würde sobald ihre Fingerchen groß genug waren Klavierunterricht bekommen. Der Junge, ein zwei Jahre älter als sein kleines Schwesterchen, würde Pullunder tragen und Jugendmeister im Go-Spielen werden. Abends säßen die Eltern mit stolz geschwellter Brust bei einem dampfenden Kimchi-Eintopf (Kimchi ist die Essenz Koreas und was hier die Welt im Innersten zusammenhält. Dieses vergorene Gemüse, klassischerweise Chinakohl, wahlweise – und die Auswahl ist hier riesig – aber auch Rettich, Gurken, Lauch etc., wird zu ausnahmslos jedem Essen gereicht und schmeckt ein bisschen wie scharfes Sauerkraut. Praktisch jede Familie hat ihren eigenen separaten Kimchi-Kühlschrank, der nicht selten die Dimensionen einer Kühltruhe annimmt. Der Sinn dieses Möbelmonsters wurde mir bewusst als meine Hausmutter diese Spezialität einmal zubereitete und die ganze Wohnung von einer strengen Milchsäure-Fahne durchweht wurde. Da hat ein einzelner Atemzug die Verdauung schon ordentlich in Schwung gebracht. Diese kleinen Kimchi-Beilagen sind eigentlich sehr lecker, wenn man es nicht übertreibt. Eine kleine Portion zur Nudelsuppe ist bestens, aber Kimchi-Eintopf mit Kimchi gefüllten Teigtaschen und Kimchikimchi ist definitv zu viel des Guten. Ich hab noch nicht geschaut, aber ich bin mir sicher bei McDonalds gibt es auch den Kimchi-Burger) am Esstisch und würden sich von den Kleinen die Abenteuer des Tages berichten lassen. Aber wie sollte sie das nur anstellen? Sie konnte sich kaum eine Babypause erlauben. Und Zeit für das Familienleben, wo sollte sie sich die denn noch herausschneiden? Vielleicht sollte sie sich lieber noch stärker auf ihre Arbeit konzentrieren und versuchen auch eine gute Hausfrau zu sein. Vielleicht sollte ihr das genügen… (Korea ist unter den OECD-Ländern die Nation mit der niedrigsten Geburtenrate) Die Frau rollte sich in ihrem Sitz auf die andere Seite. Eine Haarsträhne fiel schräg über ihre fest verschlossenen Augen und sie versank wieder ein wenig tiefer in ihr unruhiges Nickerchen.

Die Nudelwerbung mit der quäkenden Kinderstimme ist vorbei und das nächste Lied erklingt aus den Lautsprechern. „Dschingis Khan“ – keine Ahnung wie das den Weg nach Korea gefunden hat! Neben dem Sitz der dösenden Frau steht kerzengerade ein Mann im langen Mantel, der in der einen Hand seinen Aktenkoffer trägt und sich mit der anderen an einer Stange festhält. Der Lederhandschuh spannt über den Knöcheln. Er hat seinen Blick starr der Tür zugewandt. Seine Karriere war bisher musterhaft verlaufen. Nach den üblichen zwei Jahren beim Militär und einem erfolgreichen Studium hatte er mit großen Hoffnungen und Erwartungen in einer bekannten Firma angeheuert. Er hatte Spaß an seiner Arbeit und war gut darin. Die zahllosen Überstunden machten ihm nichts aus. (Die Koreaner verbringen im OECD-Vergleich die meisten Stunden in der Arbeit) Auch wenn er spät abends nach Hause kam, wartete seine Verlobte mit ein paar selbstgemachten Mandu (die koreanische Ravioli Variante) auf ihn. Nur wenn er mit seinem Chef und den Kollegen nach der Arbeit noch etwas trinken ging, schlief sie für Gewöhnlich schon, wenn er tief in der Nacht den Code in das Sicherheitsschloss an der Wohnungstür eintippte. Er war dann auch immer völlig ausgelaugt, denn sie tranken in Massen. Keiner durfte aufhören, bevor er nicht mindestens einmal das Weite suchen musste. Der Kater am nächsten Morgen war schrecklich. Natürlich musste man trotzdem pünktlich in im Büro erscheinen. Aber das gehörte nun mal zum Arbeitsalltag dazu, man gewöhnte sich daran. Leid tat es ihm nur um einen Kollege, mit dem er sehr gut auskam. Er hatte sich mit der Ausrede an einer Allergie gegen Alkohol zu leiden den gemeinsamen Gelagen zu entziehen versucht. Das wurde ihm als Schwäche ausgelegt und so wurde er von seinem Chef und den Kollegen eiskalt aus der Firma gemobbt. Er konnte den Anblick nicht vergessen als sein Kollege am letzten Arbeitstag die Sachen auf seinem Schreibtisch mit gesenktem Blick in einen Karton packte. Danach hatte zwar niemand mehr den Namen des Kollegen erwähnt, aber es wurde über einen schrecklichen Unfall gemunkelt. (Korea hat die höchste Selbstmordrate im OECD-Vergleich) Die Gelage gingen jedoch weiter und, als müsse er beweisen, dass alles in bester Ordnung sei, begann der Chef diese nun in diversen Etablissements ausklingen zu lassen. Er hasste diese Abende. Die Frauen waren überschminkt und versuchten ihre Müdigkeit hinter übertriebenen Gesten und ständigem Gekicher zu verbergen. Doch der Chef bestand darauf, dass sich jeder eine aussuchte und befragte die Damen danach immer nach einem erfolgreichen Resultat des Beisammenseins. Wie ihn das alles ekelte. Aber was sollte er machen. Er brauchte den Job. Er wollte erfolgreich sein. Der Mann strafft seine Haltung und verschwindet in die Kälte, als sich die Türen an der nächsten Haltestelle auffalten.

Das Radio verstummt. Ich öffne eines der beschlagenen Fenster und sauge die eiskalte Luft in meine Lungen. Der Bus hält an einer Ampel und ich betrachte die Ladenreihe an der Straße. Im zweiten Stockwerk befindet sich ein Spielzeuggeschäft. Die Fensterfront ist über und über mit knallbunten Kuscheltieren ausgehängt, die alle mit ihrem festgenähten Grinsen in die Stadt hinaus starrten. Ein Ladenfenster ist sperrangelweit geöffnet. Daneben steht ein Mann, draußen an der Fassade, nur auf einem knappen Mauervorsprung. Er steht mit dem Rücken nah an die Scheibe gepresst. Im Laden hatte er die Musik auf volle Lautstärke aufgedreht und wippt mit seinen Knien im Takt. Unter ihm eilen die Menschen vorbei in ihre Arbeit im dichten Verkehr. Über ihnen steht er und saugt an seiner Zigarette. Ich meine zu erkennen wie sich seine Lippen zum Song bewegen. Sie formen „I want to break free“, als würde sie das alles gar nichts angehen…

Meine Nachbarschaft und mein Lieblingsnachbar ganz rechts

Montag, 10. Januar 2011

Endlich in Asien!

Jetzt bin ich zwar schon ein wenig rumgekommen in Asien, habe aber nie wirklich die typischen Klischees bestätigt gefunden, die beim Gedanken an den fernen Osten so in europäischen Köpfen herumspuken. Ich hatte diese deshalb bereits als völlig sinnfrei, unnütz und nicht existent abgehakt. Dann komme ich jedoch nach Seoul und da hüpfen die Klischees bunt und fröhlich vor meinen Augen herum wie unglaubliche Erscheinungen der dritten Art. Naja, zumindest so manches davon bewahrheitet sich hier auf wundersame Weise:


Klischee Nr.1: Asiaten können kein „R“ aussprechen

Das Problem ist nicht, dass es im Koreanischen kein „R“ gäbe. Aber das „R“ ist hier kein so unflexibler Laut wie in den meisten anderen Sprachen, die ich kenne. Hier changiert ein „R“ vom feurig- spanischen Flamenco-„R“ über ein angerolltes-angeschubstes „N“ bis hin zu einem eingelullten „L“. So schreibt mein Koreanisch Lehrbuch: „ㄹ“  kann je nach Wort als r, l oder n ausgesprochen werden - na super, wie eindeutig! Und so passiert es dann auch, dass diese r-l-n-Ähnlichkeit auch in Fremdsprachen ein wenig unkontrolliert zu Tage tritt, weil irgendwie ist alles dasselbe im Koreanischen, auch wenn andere Sprachen da feinere Unterschiede machen. 

Als ich mich neulich einer englischen Führung durch die Geheimen Gärten des Changdeok Palastes anschloss, konnte ich unserer koreanischen Führerin bestens folgen, die uns in breitem Amerikanisch detailliert Hintergründe und Anekdoten über das Leben im Palast schilderte. Nur manchmal ist es dann doch bei aller Professionalität passiert, was ich noch nie zuvor in echt, sondern nur in der McDonalds Werbung für die Asia Wochen gehört habe. Das lustige „L“, das sie anstelle eines „R“ lieblich lallte. Und so kam es dann auch, dass sie den Tiger, der früher – lang, lang ist’s her – in den geheimen Gärten auf der Jagd nach einem königlichen Leckerbissen herum gestrolcht ist, als  „vely scaly“ empfand. Ich fand’s eher lustig als erschreckend, aber das lag weniger am Tiger. 

Es kann einem aber auch passieren, dass sich die Koreaner ein wenig vergreifen am „R“ und es überbenutzen. Meine Vermieterin (Ich mache hier einen sogenannten Homestay bei einer älteren koreanischen Dame. Sie ist viel zu neugierig: „haben-sie-schon-gegessen-was-suchen-sie-im-Kühlschrank-und-warum-nehmen-sie-keine-tüte-zum-einkaufen-mit“ frägt sie mir den Atem nehmend in einem Atemzug. Außerdem ist sie  extrem sparsam – „zwei-scheiben-toast-zum-frühstück-reichen-aber-und-bohnenkaffee-gibt’-nicht-immer“ und überaus stolz auf sich, ihre Kinder und ihr Land. Alles in allem ist sie also vor allem anstrengend!) stellt mich bei all ihren Verwandten und Bekannten, die vorbeikommen und sich von ihr akkupunktieren oder einfach vor dem Fernseher parken lassen, voller Stolz auf ihre gute deutsche Aussprache, als „Frau Raura!“ vor. Ihr Deutsch ist tatsächlich wahnsinnig gut, nur mit meinem Namen steht sie offensichtlich auf Kriegsfuß. Bei dessen Klang muss ich nun immer an winterspröde Haut denken, bei der beim Überstreifen der Handschuhe ganz viele dünne Wollfäden und Fusseln hängen bleiben. Und wenn ihr kleiner Enkel da ist, dann wiederholt sie meinen verunstalteten Namen besonders oft, damit ihn sich der kleine Hosenscheißer auch merken kann: „Raura, Rrraura, RRRRRRRaurrrrra!“ knurrt es dann durch die Wohnung und mir jagt ein kalter Schauer über den Rücken wie Fingernägel auf der Tafel. 

Das „R“ ist also ein Problem in Korea. Das können wir durchaus mal so festhalten!





Klischee Nr.2: Asiaten sind fleißig und arbeitsam

Das war mir in China schon gedämmert, dass wir Europäer trotz Klagen über Überstunden oder Abgabetermine für die Hausarbeiten in einem Arbeits- und Freizeitparadies leben. Hier fängt der Kampf schon bei den ganz Kleinen an. Sobald sie in die Schule kommen, ist Schluss mit lustig, denn bereits in der ersten Klasse beginnt das Rennen um einen Platz an einer der begehrten Elite Universitäten im Land. Wenn man es einmal auf einer dieser Unis geschafft hat, hat man praktisch ausgesorgt. Die guten Jobs und schönen Frauen oder erfolgreichen Männer liegen einem dann zu Füßen. Deshalb knechten Eltern ihre Kinder ab Schuleintritt mit zusätzlichem Nachhilfeunterricht oder einer Wochenendschule zum Erlenen einer zusätzlichen Fremdsprache. Wenn deutsche Kinder nach den Mainzelmännchen noch nicht ins Bett wollen, dann dürfen das die kleinen Koreaner einfach gar nicht, denn dann sind nach Schule und Zusatzunterricht die Hausaufgaben noch gar nicht bewältigt. Das Knechten geht weiter bis zur umfangreichen Aufnahmeprüfung auf die Uni. Wenn deutsche Teenager sich also zum ersten Mal ins Koma saufen und am nächsten Morgen nicht mehr wissen, von wem die dunkelroten Saugspuren am eigenen Hals stammen, legen die koreanischen Jugendlichen noch eine zusätzliche Nachtschicht ein, brav daheim am Schreibtisch vor den Lehrbüchern. Wen es bis dahin nicht zerbröselt hat, der kann nach der bestandenen Aufnahmeprüfung ordentlich die Sau raus lassen, weil das Studium an sich ist dann im Vergleich zu den Strapazen davor nur noch Urlaub. Im Job sieht es dann schon wieder anders aus, der geht nämlich über alles. Die Arbeitsmoral ist jederzeit enorm hoch und das wird auch so erwartet. Wenn man einen Koreaner um 10 Uhr abends anruft, erwischt man ihn zu 50% noch in der Arbeit. Und während das Wochenende den Deutschen heilig ist, ist es den Koreaner das zusätzliche Geschäft, das man noch abschließen könnte, egal an welchem Tag. Dieser Einstellung verdanken es die Koreaner sicherlich, dass sie ihr Land nach jahrelangem Krieg und politischen Unruhen in kürzester Zeit ganz nach oben gebracht haben. 

Aber auch im Einzelnen ist es absolut bewundernswert, dass ein Koreaner, wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hat, das auch durchzieht – koste es, was es wolle. Wir haben einen Schüler im Goethe Institut, der möchte nächstes Jahr zum Studium nach Deutschland gehen. Deshalb kommt er sobald die Bibliothek um 9 Uhr aufsperrt, klemmt sich hinter seine Deutsch-Lehrbücher, lediglich unterbrochen vom Sprachkurs und der Konversationsrunde, und bleibt bis die Bibliothek um 7 wieder schließt. Dass sein Deutsch grandios ist und er danach noch nicht nach Hause geht versteht sich von selbst. 

Auch die alte Weisheit aus dem Osten „Albeite ohne Mullen und Knullen!“ findet sich also hier bewahrheitet! 





Klischee Nr.3: Asiaten sind überaus höflich und freundlich

Ooohhhhh ja! Und das Oohhhh ist fester Bestandteil des Freundlichkeitsprogrammes. Denn obwohl die Begrüßung eigentlich „Anyeong Haseyo“, die Verabschiedung „Anyeong Gaseyo“ heißt, wird praktisch der ganze erste Teil verschluckt bzw. zu einer einzigen Silbe zusammengeschoben, die nur Auftakt eines extrem in die Länge gezogenen Auslauts Ooooohhhh ist. Dabei verbeugt man sich dann auch noch wild und besser mehrfach. Begrüßt wird man überall von Verkäufern, Bedienungen, ja sogar vom Busfahrer. Das ist echt beeindruckend und ich konnte es anfangs nicht für möglich halten, dass die das ernst meinen. Aber das tun sie und sind auch sonst trotz aller Sprachbarrieren – und die sind hier hoch –  äußerst bemüht einem mit allen Mitteln weiterzuhelfen. Wenn ich also mal wieder das Ziel meiner Suche nicht finden oder diverse Anweisungen, Speisekarten oder Produktbeschreibungen nicht lesen kann, dann frage ich gezwungenermaßen auf Englisch den nächstbesten, der mir zwischen die Finger kommt. 

Die Antwort funktioniert dann entweder so: Meine befragten Opfer kratzen verzweifelt ihre letzten Brocke Englisch zusammen, denen sie sich noch entsinnen können (trotz Fleiß und Lerneifer ist das Englisch des Durchschnittskoreaners unterentwickelt bis gar nicht vorhanden, was wohl am recht veralteten konfuzianischen Lernsystem des sturen auswendig Lernens besteht, welches einem bei einer Sprache, spätestens wenn man sie sprechen soll, das Genick bricht) und führen schlimmstenfalls einen Bienentanz zur Wegbeschreibung oder eine Scharade zur Begriffserklärung auf. So stand ich einmal in einem Drogeriemarkt vor den Wimperntuschen und konnte mich nicht entscheiden, was auch an den vielen Zeichen lag, die mir angestrengt vor den Augen verschwammen und mir doch nichts sagen konnten. Eine Verkäuferin erbarmte sich meiner und versuchte mir den Unterschied der drei verschiedenen Mascara Typen zu erklären: bei der ersten sagte sie indem sie die Augen weit aufriss und das Wort in die Länge zog: „long – loooooong!!!“, die zweite Wimperntusche begleitete sie mit einer Geste, die wirkte als würde sie von Unterwasser wieder auftauchen, und rief schlicht: „up!“. Bei der dritten meinte sie „manymanymany!“ und ihre Finger rieselten durch die Luft wie fallende Sternschnuppen. Was will man mehr, die Erklärung war doch überaus hilfreich und meine Wimpern sind nun endlich up!  

Die zweite Möglichkeit sieht so aus. Der gefragte Koreaner versteht irgendwie die Frage auf Englisch, kriegt es aber einfach nicht hin in die Fremdsprachen-Gehirnrille rüberzuschalten. Doch da ja jeder der armen Ausländerin helfen möchte, erklären sie einem dann ausführlichst die Lösung des Problems auf Koreanisch. Das hilft einem durchaus bei einer gestenreichen Wegbeschreibung, nicht aber bei komplexeren Fragestellungen. 

Und so können wir uns selten so richtig gut und erschöpfend verständlich machen, die Koreaner und ich, aber am Schluss ziehen wir dann alle die Augenbrauen nach oben, sagen  OOooohhhh, verbeugen uns mehrfach und dann ist eigentlich auch alles wieder in bester Ordnung...



Dienstag, 28. Dezember 2010

Alles ist erleuchtet!

Es war einmal ein Flugzeug. Das stand startbereit am Flughafen in Kathmandu. Doch so recht kam  die Maschine nicht in die Gänge. Der Start wollte nicht glücken, man konnte nicht abheben - irgendwas war wohl kaputt! Die Passagiere wurden beruhigt: Sie sollen einfach einen Augenblick sitzen bleiben - die Ursache würde schnell gefunden und noch schneller behoben werden können! So rief man die Techniker und Ingenieure zu Rate. Diese Experten untersuchten das Flugzeug aufs gründlichste und inspizierten es unermüdlich. Sie strengten ihr gesammeltes technisches Wissen an, doch konnten sie das Problem nicht ausfindig machen. Die Passagiere beobachteten durch die Bullaugen gespannt die Techniker. Am Ende ihrer Weisheit angelangt, kam den Ingenieuren noch eine letzte Idee. Man solle eine Ziege bringen lassen! Gesagt, getan  die Ziege wurde herbeigeschafft. Die Ingenieure machten sich nun frisch ans Werk: während der eine die Ziege festhielt, schnitt ihr der andere die Kehle durch. Das Blut der geopferten Ziege wurde rituell auf Rumpf, Räder und Tragflächen des Flugzeuges gespritzt. Den Passagieren blieb der Atem weg. Nach erfolgreicher Beendigung des Rituals, bekam der Pilot das Zeichen, dass die Startbahn nun freigegeben sei. Das Flugzeug rollte an, beschleunigte - in der Passagierkabine herrschte absolute Stille - und hob ab...